Stories Matter
Stories Matter ist eine Initiative der Walt Disney Company, welche die Veröffentlichung von älteren Produktionen begleitet, wenn diese nicht mehr heutigen Konventionen entsprechen. Die Initiative ist ein Teil der Website Disney's Reimagine Tomorrow.
Vorgeschichte[Bearbeiten]
Die Disney-Company ist auf verschiedene Weisen mit rassistischen Elementen ihrer älteren Werke umgegangen.
Filme und Cartoons[Bearbeiten]
→ Für eine Liste aller gekürzten Disney-Filme, siehe Gekürzte Disney-Filme
Für spätere Ausstrahlungen des Silly Symphony-Cartoons „Die drei kleinen Schweinchen“ wurde die Szene geändert, in der sich der große, böse Wolf als jüdischer Verkäufer verkleidet. Szenen mit afrikanischen Zentauren wurden in späteren Ausstrahlungen und Veröffentlichungen von „Fantasia“ geschnitten, teilweise wurden nur Bildausschnitte der ursprünglichen Aufnahmen gezeigt. Für „Aladdin“ wurde wegen Beschwerden eine Zeile im Lied „Arabian Nights“ geändert. Der Film „Onkel Remus' Wunderland“ wurde jahrelang nicht neu veröffentlicht. Andere Filme mit rassistischen Elementen wurden nicht bearbeitet und weiterhin veröffentlicht, zum Beispiel „Dumbo“ und „Peter Pan“.
Einen Sonderweg ging der Konzern 2001 bis 2009 bei der Veröffentlichung der DVD-Reihe „Walt Disney Kostbarkeiten“. Filmkritiker Leonard Maltin moderierte die DVD-Boxen und leitete dabei Cartoons mit rassistischen Elementen ein, indem er diese anerkennt, erklärt und in einen historischen Kontext setzt. So konnten zahlreiche Cartoons in voller Länge veröffentlicht werden.
Comics[Bearbeiten]
Comics mit rassistischen Elementen wurden in den USA ebenfalls lange nicht nachgedruckt. Unter anderem bestand der einzige vollständige Abdruck von „Micky Maus im Tal des Todes“ in der inoffiziellen Buchreihe „The Uncensored Mouse“, bis 2011 die „Floyd Gottfredson Library“ bei Fantagraphics Books erschien. Fantagraphics bemühte sich um viele Nachdrucke klassischer Comics, weshalb der Verlag auch Warnhinweise im Impressum oder im Inhaltsverzeichnis platzierte. In den ersten Ausgaben der „Floyd Gottfredson Library“ fehlen noch diese Hinweise, 2017 setzte der Verlag in Ausgabe 11 und 12 eine salopp formulierte Anmerkung ins Impressum:
- „Editor's Note: comic strips in [Buchtitel] were created in an earlier time and contain cartoon violence and historically dated content, such as gags about smoking, drinking, gunplay, and racial stereotypes. Needless to say, Mickey wouldn't mix it up with these elements today; we include them here with the understanding that they reflect a bygone era.“
Für die Don Rosa Library 10 und The Complete Carl Barks Disney Library 22 setzte Fantagraphics 2018 und 2020 eine etwas förmlichere Anmerkung ins Buch:
- „These stories my include cartoon violence or gags that depict smoking, drinking, or gunplay. We present them here with a caution to the reader that they reflect the era in which they were originally published.“
Interessanterweise wurde 2021 in The Complete Carl Barks Disney Library 24 auf diese Anmerkung verzichtet, stattdessen wurde die Created-Angabe ins Inhaltsverzeichnis gesetzt:
- „The comics stories in this book are republished in their entirety as first created in [Jahreszahlen].“
Einsatz[Bearbeiten]
2019 wurde der Streamingdienst Disney+ in den USA freigeschaltet.
Nach der Tötung von George Floyd im Mai 2020 gab es mehrere Proteste gegen strukturellen Rassismus in den USA.[1] In diesem Kontext forderte Drehbuchautor John Ridley im Juni 2020 in einem Leitartikel für die Los Angeles Times, dass der Streamingdienst HBO Max den Film „Vom Winde verweht“ offline nehmen soll, da in diesem rassistische Stereotypen verwendet werden. Einen Tag später wurde der Film offline genommen. In seinem Artikel schrieb Ridley: „Currently, there is not even a warning or disclaimer preceding the film.“ („Derzeit gibt es nicht einmal eine Warnung oder einen Vermerk, der dem Film vorangestellt ist.“)[2] Im Oktober 2020 sollte genau das der Weg sein, wie die Disney-Company mit den Werken umgeht, welche rassistische Stereotypen zeigen. Um auf die schädliche Wirkung der Stereotypen hinweisen und damit eine Diskussion über Diskriminierung ermöglichen, wurde der Hinweistext gesetzt, statt den Inhalt zu entfernen. Diese Lösung wurde später auch von HBO Max für „Vom Winde verweht“ übernommen.[3]
Mit Warntafeln vor bestimmten Filmen auf Disney+ machte der Konzern auf seine Initiative „Stories Matter“ aufmerksam. Der Name der Initiative spielt auf das Projekt „Black Lives Matter“ an.[4] Verschiedene Filme und auch einzelne Serien-Folgen wurden mit dem folgenden Hinweis versehen:
- „This program includes negative depictions and/or mistreatment of people or cultures. These stereotypes were wrong then and are wrong now. Rather than remove this content, we want to acknowledge its harmful impact, learn from it and spark conversation to create a more inclusive future together. Disney is committed to creating stories with inspirational and aspirational themes that reflect the rich diversity of the human experience around the globe. To learn more about how stories have impacted society, please visit www.disney.com/storiesmatter“
Die URL leitet auf storiesmatter.thewaltdisneycompany.com weiter, der Homepage der Initiative „Stories Matter“. In der Handlungsbeschreibung wurde auch ein kurzer Disclaimer hinzugefügt: „This program is presented as originally created. It may contain outdated cultural depictions.“[5]
Auch für die deutsche Fassung von Disney+ wurde ein solcher Hinweis vor dem Video angekündigt:
- „Dieses Programm enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen und Kulturen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es noch heute. Anstatt diese Inhalte zu entfernen, ist es uns wichtig, ihre schädlichen Auswirkungen aufzuzeigen, aus ihnen zu lernen und Unterhaltungen anzuregen, die es ermöglichen, eine integrativere gemeinsame Zukunft ohne Diskriminierung zu schaffen.“[1]
Vereinzelte BluRays bekamen auch einen gekürzten „Stories Matter“-Hinweis auf die Rückseite gedruckt: „This program includes negative depictions or mistreatment of people or cultures. Rather than remove this content, we want to acknowledge its harmful impact and spark conversation to create a more inclusive future together.“[6]
Ebenso bei den Comics wurde der Hinweis eingesetzt, zum Beispiel in den USA bei The Complete Carl Barks Disney Library 28 und seit DDSH 414 im November 2021 auch in den deutschsprachigen Comics:
- „Dieser Titel enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen und Kulturen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es noch heute. Anstatt diese Inhalte zu entfernen, ist es uns wichtig, ihre schädlichen Auswirkungen aufzuzeigen, aus ihnen zu lernen und Unterhaltungen anzuregen, die es ermöglichen, eine integrativere gemeinsame Zukunft ohne Diskriminierung zu schaffen. Disney hat es sich zum Ziel gesetzt, Geschichten mit inspirierenden und zukunftsweisenden Botschaften zu erzählen, in denen die große Vielfalt der Menschen rund um den Globus berücksichtigt wird und niemand diskriminiert wird. Um mehr darüber zu erfahren, wie sich Geschichten auf die Gesellschaft ausgewirkt haben, gehe auf www.Disney.com/StoriesMatter“
Auf der Website der Initiative werden als Beispiele der negativen Darstellungen Aspekte der vier Filme „Dumbo“ (1941), „Peter Pan“ (1953), „Die Insel der Verlorenen“ (Swiss Family Robinson, 1960) und „Aristocats“ (1970) genannt:[1][7]
- Dumbo: Die Krähen und ihr Lied „Ich sah noch nie wie ein Elefant fliegt“ sind eine Hommage an rassistische Minstrel-Shows, in denen sich weiße Darsteller via Blackfacing und zerfetzter Kleidung als versklavte Afrikaner verkleideten und diese so lächerlich machten. Der Anführer der Krähen heißt im englischen Original Jim Crow, einer fiktiven schwarzen Figur, nach dem die Jim-Crow-Gesetze benannt wurden, die Gesetze der Rassentrennung in den USA. An einer anderen Stelle des Films singen gesichtslose schwarze Arbeiter „Das Lied der Zeitarbeiter“, laut dem sie im englischen Original nicht mit Geld umgehen können: „When we get our pay, we throw our money all away“.
- Peter Pan: Die Ureinwohner Amerikas werden im Film in einer stereotypen Weise dargestellt, welche weder ihre Vielfalt noch ihre Traditionen zeigt. Sie sprechen in einer unverständlichen Sprache und werden mehrfach mit der rassistischen Bezeichnung „Rothäute“ bzw. „redskins“ beleidigt. Als Peter Pan und seine verlorenen Jungs sich als dieselben Ureinwohner verkleiden, verhöhnen sie deren Kultur.
- Die Insel der Verlorenen: Familie Robinson wird von Piraten angegriffen, welche dank Yellowface und Brownface sowie übertriebener Schminke und Schmuck, unverständlicher Sprache, Hochsteckfrisur und Gewändern ein rassistisches Zerrbild der asiatischen und nahöstlichen Völker darstellt.
- Aristocats: In Swingys Band aus Straßenkatzen sind mehrere stereotype Darstellungen, unter anderem wird die Katze Shun Gon mit schrägen Augen und Hasenzähnen als rassistische Karikatur ostasiatischer Völker gezeigt. Diese Katze spielt mit Ess-Stäbchen Klavier und singt im Lied „Katzen brauchen furchtbar viel Musik“ mit Akzent höhnische Texte wie „Shanghai, Hong Kong, Egg Foo Young. Fortune cookie always wrong“ (im Deutschen „Shanghai, Hongkong und Sho Zui. Zwei, drei, vier und raus bist du-i“)
Obwohl der Hinweistext eingebaut wurde, um bestimmten Filmen trotz ihrer nicht zeitgemäßen Stereotypen ungekürzt zu zeigen, wurden Ende Januar 2021 Filme mit dem „Stories Matter“-Warnhinweis aus Kinderprofilen entfernt. In Kinderprofilen sind Filme der Altersstufen „ab 0“ und „ab 6“ Jahren verfügbar. In Kinderprofilen nicht mehr verfügbar sind zum Beispiel die Filme „Peter Pan“, „Aristocats“, „Susi und Strolch“, „Dumbo“, „Das Dschungelbuch“ und „Die Insel der Verlorenen“.[8][9] Weitere Filme mit dem Hinweis auf Stereotypen sind „Fantasia“, „Mickey Mouse Club“ (nicht in Deutschland verfügbar), „Davy Crockett, König der Trapper“ sowie „Davy Crockett“ und „Das Geheimnis der verwunschenen Höhle“. Eine Warnung vor Tabak-Gebrauch wurde zusätzlich „Dumbo“, „Pinocchio“, „Hercules“ und „Drei Caballeros“ hinzugefügt.[5]
Der Einsatz der Initiative ist nicht nur rückblickend auf das bisherige Werk der Disney-Company, sondern auch vorausschauend auf aktuellere Produktionen. Die Website wird eingeleitet mit den Worten: „Geschichten formen das Bild von uns und unserer Umwelt. Als Geschichtenerzähler haben wir die Macht und die Verantwortung, andere Menschen nicht nur zu inspirieren, sondern auch die Bandbreite von Stimmen und Perspektiven in unserer Welt bewusst zu fördern.“ Das zeigt sich laut Presse auch in Casting-Entscheidungen der zu dem Zeitpunkt vergangenen Jahre, darunter das Casting des schwarzen Schauspieler John Boyega als Finn in „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ und der Afroamerikanerin Halle Bailey als Arielle im Realfilm „Arielle, die Meerjungfrau“.[3] Kritik an klassischen Filmfiguren beeinflusst auch ihre Umsetzung in Remakes, so unterscheidet sich die Darstellung der von „Stories Matter“ kritisierten Figuren Naseweis, Käpt'n Hook und Ursula in ihren Trickfilmen[10] von ihrer Darstellung in den Realfilm-Remakes.
Die Initiative „Stories Matter“ wird von elf Organisationen beraten:[7]
- AAFCA (African American Film Critics Association)
- CAPE (Coalition of Asian Pacifics in Entertainment)
- Define American
- Geena Davis Institute on Gender in Media
- GLAAD Media Institute
- Hollywood, Health & Society
- IllumiNative
- NALIP (National Association of Latino Independent Producers)
- RespectAbility
- The Science & Entertainment Exchange
- Tanenbaum
2022 entstand auch Unterrichtsmaterial zu der Disney-Initiative.[4]
Weblinks[Bearbeiten]
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ 1,0 1,1 1,2 (16.10.2020). „Disney+ zeigt Zeichentrick-Klassiker mit Warnhinweis“. spiegel.de
- ↑ John Ridley (08.06.2020). „Op-Ed: Hey, HBO, ‚Gone With the Wind‘ romanticizes the horrors of slavery. Take it off your platform for now“. latimes.com
- ↑ 3,0 3,1 Andreas Busche (03.02.2021). „Disney thematisiert Rassismus in Kinderklassikern: ‚Peter Pan‘, ‚Aristocats‘ und ‚Dschungelbuch‘ nur noch unter Aufsicht“. tagesspiegel.de
- ↑ 4,0 4,1 Rebecca Quick (27.09.2022). „Stories Matter“ in: Geschichte lernen Nr. 209 / 2022. friedrich-verlag.de
- ↑ 5,0 5,1 Laura Galvan (15.11.2019). „11 Disney Plus movie titles that include a 'outdated cultural depictions' disclaimer“. aol.com
- ↑ CaptainGibb. „New Content Advisory on a Disney Blu-Ray (Melody Time)“, gepostet auf r/dvdcollection. reddit.com
- ↑ 7,0 7,1 „Disney+ Advisory - Stories Matter | The Walt Disney Company“. storiesmatter.thewaltdisneycompany.com (archiviert)
- ↑ Nadja Ayoub (01.02.2021). „Wegen rassistischer Klischees: Disney+ entfernt Dumbo, Peter Pan und andere Filme aus Kinderprofilen“. utopia.de
- ↑ Tilde Funk (2023). „Global-mediale Verantwortung und Aufarbeitung rassistischer Darstellungen in Disney-Klassikern“. blogs.fu-berlin.de
- ↑ Zachary Rogers (19.04.2022). „Disney labels Tinker Bell, Captain Hook as 'potentially problematic,' per report“. mynbc15.com